»Zwischen Abendlicht und Utopia« CHRISTIN LUTZE: Malerei auf Leinwand und Papier
»EINE BILDWELT, DER MAN SICH NICHT ENTZIEHEN KANN…«
Christin Lutze, die mit ihrem Atelier in Berlin zu Hause ist, hat sich hier in den vergangenen Jahren eine wahre Bilderwelt erschaffen. Diese befindet sich, wie es der Titel der Ausstellung sagt, tatsächlich zwischen Abendlicht und Utopia.
Die Wurzeln ihres künstlerischen Schaffens hatte sie in einem Kreis junger Leute, dem auch ich angehörte. Einmal in der Woche traf man sich in Bernau unter der Obhut des Künstlerehepaares Rosemarie und Otto Schack. Hier gab es einen Raum, in dem sich Schüler und Studierende ausprobieren konnten und unter Anleitung ein Gefühl für bildende Kunst und das Künstlersein erhielten. Christin gehörte hier zu den älteren, die das Studium schon begonnen hatten. Ich, fünf Jahre jünger, war eine der Schülerinnen, die noch an der Mappe arbeiteten, mit der man sich auf ein Studium bewerben wollte.
Es gab auch Studienfahren. Die nach Clermont-Ferrand 1995 ist mir da in Erinnerung geblieben. Christin lebte damals für ein Jahr in Frankreich.
Seitdem kreuzen sich unsere Wege beruflich immer wieder. 2011 sahen wir uns bei der Eröffnung ihrer Einzelausstellung »Mirabilis« im Schul- und Bethaus in Altlangsow wieder, die ich eröffnen durfte.
Nach einiger Zeit folgte ein Atelierbesuch, und wir bereiteten ihre Ausstellung »Wunderlicht« vor, die im Winter 2013/ 2014 in der Galerie im Infirmarium des Klosters Chorin zu sehen war. Hier stellte Christin Lutze neben ihren großen Klassikern eine Reihe eigens für diese wunderbaren Räume entstandenen Arbeiten aus. Christin hatte in langfristiger Vorbereitung allein für diese Ausstellung in Chorin das Kloster, das Biorama, die Kirchen in Golzow, Britz und Hohen Finow gemalt. Das fanden unsere Gäste und ich sehr schön, weil wir hier alte Bekannte ganz anders sehen konnten. Die drei Dorfkirchen sind in ihren Ortskernen und darüber hinaus wichtige Landmarken, und so wirkten sie auch in den Bildern. Denn, wie in einem historischen Ortskern zentriert sich auch im Bild alles um diese charakteristische Mitte. Die Bildräume werden erdacht, erahnt – Wege angedeutet, Ebenen aufgetürmt und Strukturen zum Leben erweckt.
Nun, nach vier Jahre, freue ich mich, wieder zu Christin und ihren Bildern schreiben zu können.
In großer Emsigkeit und unerschütterlichen Fleiß reihen sich Ihre Ausstellungen aneinander. Gerade in Berlin sind ihre Bilder dagegen nicht mehr so häufig zu sehen. Die Ausstellungen werden internationaler, die Namen der Preise immer klangvoller. Ihren Bilderwelten bleibt sie dabei aber treu.
In warmen, leuchtenden Farben präsentiert sie uns eine Welt aus Wegen, Strecken, Brücken.
Es sind Landschaften und Stadtlandschaften, so wie sie eigentlich jeder kennt, der sich in und um Berlin aufhält. Sie vermitteln eine gewisse Sehnsucht, der man sich kaum entziehen kann. Das
Besondere ist, dass diese eigentümlichen Orte so zeit- und raumlos wirken. Sie sind menschenleer und doch durch den Menschen geprägt, geradezu geformt. Die Landschaften und Stadtlandschaften wirken, als seien sie im Traum entstanden. Aber nicht nur Linien und Flächen bilden den Raum, vor allem die Farbe schafft diese starke Atmosphäre in den Landschaften.
In den gemalten Bildarchitekturen, deren konstruierte Kraft der Raum ist, sucht Christin Lutze nach Balance zwischen rationalen, surrealen und emotionalen Elementen. Ihr Ziel bleibt die Zusammenführung funktionaler, konstruktiver und geistiger Momente der Malerei. In der Ausführung der Bildgedanken bleibt sie bei der respektvoller Distanz der Beobachtung. Die Eitempera- und Ölarbeiten liegt eine immanente Ruhe und sammelnde Kraft zugrunde.
Auch ohne Lebewesen wirken die Orte nicht kühl und leblos. Alles erhält eine ganz eigene Lebendigkeit und Dynamik. Der Grund liegt wohl darin, dass Christin den Dingen, den Gegenständen, Häusern, Straßen und Treppen unheimlich freundlich gegenübersteht. Fast liebevoll steht Berlin oder der fiktive Ort im rechten Licht. Die Arbeiten wirken sehr ausgewogen und strahlen Ruhe aus, auch, wenn sie, wie die Bilder der Utopia, sehr voll sind. Unweigerlich fühlt man sich an Bilder aus der Kindheit erinnert, in denen man den Weg sucht. Treppen und Wege bilden Räume, die doch nicht real zu sein scheinen. Das erzeugt eine Spannung, die den Betrachter in der Ausstellung neugierig von Bild zu Bild suchen lässt. In den großen Gemälden ist dieser Sog besonders spürbar. In den bei der letzten großen Islandreise entstandenen Arbeiten auf Papier werden unmittelbare Reiseerlebnisse sichtbar. Die kleineren Arbeiten stehen auch in dieser Ausstellung den großen Gemälden gegenüber. Während diese großen Werke einen Kosmos utopischer Räume offenbaren, bleiben die kleineren Bilder eine Wahrnehmung des Augenblicks – aber wie sollte es anders sein – mit den Augen von Christin Lutze.
Dr. Franziska Siedler,
Leiterin Eigenbetrieb Kloster Chorin Chorin, im September 2018
CHRISTIN LUTZE:
»Das Spiel mit Farbe und Licht ist meine Sprache …«
Nach mehreren Arbeits- und Studienaufenthalten ist mein hauptsächlicher Arbeits- und Wohnort in Berlin, wo ich im Atelierhaus »Alte Lederfabrik« arbeite. Die Leidenschaft und Freude für die Malerei habe ich seit Kindheitstagen. Ich lebe und arbeite oft im Ausland. In diesem Jahr war ich für zwei Monate in Reykjavik. Aber ich komme auch immer wieder gern zurück nach Berlin. Fern- und Heimweh wechseln sich immer ab. Das ist aber auch sehr wichtig für meine Arbeit. Konzentriert hole ich mir an anderen Orten neue Eindrücke, Erfahrungen, Ideen und Inspirationen, die ich dann in meine Bilder einbaue.
Meine Bildideen gründen sich immer in einer Landschaft bzw. Architektur selbst und werden dann von mir über das Topographische und Erzählerische hinaus weiterentwickelt. Das konkrete landschaftliche Motiv wird letztendlich von einem abstrakten Thema überlagert. Beide Bestandteile, Landschaft beziehungsweise architektonischer Raum und künstlerische Idee, schlagen sich im endgültigen Motiv nieder. Die Orte, die ich zeige, existieren so nicht. Ich spanne dabei einen Bogen zwischen Wirklichkeit und Utopie. Dem Betrachter möchte ich genügend Spielraum für eigene Phantasie, für seine eigene Geschichten und seine eigenen Gefühle lassen.
Was die Rolle von Farbe und Raum in meinen Werken angeht, so bilde ich die
Natur bewusst nicht ab, sondern sie dient mir vielmehr als Kulisse. Meine Arbeiten
setze ich aus Strukturen und Einzelelementen zusammen. Diese versuche ich zu einer
surrealen, traumhaften, erdachten Atmosphäre zusammen zu führen. Es ist ein Wechselspiel zwischen Landschaft, Architektur und Licht. Elemente, wie Flächen und Linien spielen eine wichtige Rolle, dazu bevorzuge ich gerade oder pfeilförmige Linien. Ich spiele mit Schärfen und Unschärfen, erdachten und realen Momenten, organische Formen gehen über in architektonische Elemente. Meine Bilder erscheinen logisch, obwohl die Formen in der Realität nicht funktionieren. Ich setze mich über die Perspektive hinweg und vervielfältige diese in meinen Bildern. Das Spiel mit Farbe und Licht ist meine Sprache.
Zum Thema Architektur, Körper und Raum bin ich gekommen, weil mich die runde, figürliche Form nicht interessiert. Es sind vielmehr die eckigen Körperformen der Architektur und Flächen. Im Raum kann man auch ganz vorzügliche Perspektiven, Weite und Unendlichkeit entdecken. In der Figur Mensch nicht so, da gibt es Begrenzungen und weniger Platz für Phantasie.
Meine künstlerischen Highlights sind, wenn ich ergriffen und berührt im Museum oder in einer Ausstellung vor einem Werk stehe. Und dann, wenn ich selber ein ganz tolles neues Bild erschaffen habe oder im Prozess des Malens mitbekomme, dass es nun etwas wird und ich merke, dass ich künstlerisch weiter gekommen bin.