GEH AUS, MEIN HERZ, UND SUCHE FREUD …

Na klar, er war ja meiner Weltsicht nahe…

Als ich seinen Namen zum ersten Mal hörte, dachte ich, es sei ein ausgedachter Künstlername, etwas eitel, misstraute ich. Es muss 1977/78 gewesen sein, als ich ihm zum ersten Mal begegnete: als er sich mit seinen Arbeiten um Aufnahme in den Künstlerverband bewarb. Sein Vater war Pfarrer, erfuhr ich – daher also der ungewöhnliche Name.

Schon damals stellte er sich mit Zeichnungen von Tieren und Pflanzen vor. Sie waren nicht abgezeichnete Naturstudien (darüber war er offenbar hinaus), sondern stellten die Persönlichkeit, Einmaligkeit der dargestellten Pflanzen und Tiere vor uns hin. Dahinter das Wundern über die Vielfalt der Schöpfung und das Bewundern der Vielfalt der Schöpfung.
Solche Sicht auf die Umwelt war 1978 selten und machte mir den Zeichner sympathisch. Na klar: Er war ja meiner Weltsicht nahe. Und so war es mir wichtig, ihm Mut zum Weiterzeichnen zu machen und für seine Aufnahme in den Künstlerverband zu stimmen. Denn seine Aufnahme war damals auch sehr wichtig für die weitere künstlerische Arbeit.

Johannes Karl Gotthard Niedlich ging seinen Weg: in seiner Fortsetzung der Reihe der Zeichner der Naturkunde-Bücher, ehe es die Fotografie gab.
(Welch ein Verlust durch die Fotografie: die Interpretation, der Durchgang des Motivs durch das Gemüt des Zeichners, diese Bereicherung des bloßen Anblickes, kam durch die Fotografie abhanden.)

Was mir an den Zeichnungen von Johannes Karl Gotthard Niedlich immer wieder auffällt:

Die Andacht des genauen Nachziehens der Linien einer Pflanze, die Heiterkeit zurückhaltender Farbgebung, die Bescheidenheit des Sich-Einordnens in die unfassbare Schöpfungsvielfalt.

Ob Kohlstrunk, ob Kirschbaumzweig, Holunder, Käfer, Frosch und so weiter – alles wird gezeichnet mit der Spannung, die die Formen in sich tragen und die zu erkennen den geschulten Blick des professionellen Gestalters braucht und die zu handhaben eine Zeichnung zu einer guten Zeichnung macht.

Die bürgerlich-humanistische Bildung, mit der er aufwuchs, und die durch sein Theologiestudium vertieft wurde, war die Basis seiner gezeichneten ironischen Gleichnisse im Verhältnis zur erlebten Gegenwart. Und sicher auch die Kenntnis der Fabeln Lichtenbergs, in denen Menschen in Tierkörpern und Tiere in Menschenkörpern dargestellt werden. Hühner sind schließlich auch nur Menschen.

Rund 70 Buchtitel hat er gestaltet. Das lässt vermuten, dass viele Menschen mit seinen Zeichnungen gelebt haben. Das wird den Autor gefreut und Energie zum Weiterzeichen gegeben haben. Und nun lebt er, obwohl er am 24. April 2014 mit 65 Jahren gestorben ist, in diesen Büchern und grafischen Blättern weiter.

Erika Stürmer-Alex
Lietzen, im Dezember 2014

Geh aus, mein Herz, und suche Freud…

Es sind die Zufälle im Leben, die prägen können, einem die Augen auch für die Kunst öffnen.

Anfang der 1970er-Jahre gab es in Brandenburg eine Ausstellung von Otto Niemeyer- Holstein [1896-1984]. Bei einem Galeriegespräch wurde vor allem ein Stillleben von ihm heftig diskutiert. Der Maler, dessen Bilder die Nationalsozialisten aus den deutschen Museen entfernten, schwieg lange, um dann ruhig aber sehr entschieden nachzufragen, ob sich denn den die Kritiker nicht über die schöne bunten Äpfel freuen könnten…

An diesem außergewöhnliche Begegnung mussten wir denken, als wir bei Angela Niedlich im Dezember die Bilder für die Ausstellung aus dem Nachlass ihres Mannes aussuchten.

Schon im Torweg des restaurierten Hauses in der Altlandsberger Klosterstraße hatte uns eine Katze fasziniert, die wir natürlich für diese doch vom Umfang her doch eher bescheidene Werkschau in memoriam Johannes Karl Gotthard Niedlich auswählten. Aber, und das ist uns wichtig: Sie kann und soll neugierig machen auf sein Schaffen und nicht nur erinnern!

Dieses Aha-Erlebnis beim Betrachten seiner Zeichnungen gilt gleichermaßen für den von ihm gestalteten Brunnen am Marktplatz der einstigen Ackerbürgerstadt, den natürlich seine Tiermotive schmücken.

Vor allem im historischen Stadtkern wird erlebbar, dass der zu Lebzeiten kommunalpolitisch außerordentlich engagierte Bürger Niedlich – und das ist keineswegs ein Widerspruch zum Künstler Niedlich – so wesentlich die Entwicklung des heutigen Altlandsbergs mitgeprägt hat. Da hat ein wahrer Menschenfreund, der die Natur über alles liebte, seine schöpferischen Spuren hinterlassen können. Was kann es deshalb für die ihm in der Rathaus Galerie Hoppegarten gewidmete Ausstellung für ein schöneres Motto geben als „Geh aus, mein Herz, und suche Freud…“

Dr. Gabriele und Raymund Stolze
Hoppegarten, im Januar 2015

Presseartikel zur Ausstellung finden Sie hier